Tore Rene Burmester, Clarissa Völz-Marwig
Die Neuinterpretation historischer Kunstwerke mithilfe von Deepfakes ist ein brisantes Thema von großer Relevanz. Unsere Forschungsfrage lautet: Welche Rolle spielen Deepfakes bei der Umgestaltung historischer Kunstwerke und wie beeinflussen sie unser Verständnis von Kunstgeschichte und kulturellem Erbe?
Diese Thematik wirft Fragen zur Authentizität und Originalität von Kunstwerken auf, da die rasante Entwicklung der Deepfake-Technologie es ermöglicht, historische Meisterwerke zu verändern oder neu zu erfinden. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Kunst und die Art und Weise, wie wir unser kulturelles Erbe betrachten.
Historische Kunstwerke wie "Guernica" von Picasso sind integraler Bestandteil unseres kulturellen Erbes und prägen unsere kollektive Identität. "Guernica" entstand als Reaktion auf die Bombardierung der Stadt Guernica im Spanischen Bürgerkrieg und ist ein Symbol des Protests gegen Krieg und Zerstörung.
Wir werden untersuchen, wie Deepfakes solche Kunstwerke beeinflussen und welche ethischen Fragen sich dabei stellen.
Diese Forschung geht über die Technologie hinaus und erforscht, wie historische Kunstwerke die Gesellschaft geprägt haben und weiterhin prägen.
Wir werden die Auswirkungen von Deepfakes auf Kunstgeschichte und kulturelles Erbe erkunden, um zu verstehen, wie sie die Zukunft der Kunst gestalten können. In einer Zeit des technologischen Fortschritts ist es entscheidend, diese Fragen zu stellen und die Entwicklung von Kunst und kulturellem Erbe aktiv zu gestalten.
Deepfakes sind eine Form der digitalen Manipulation, bei der mittels künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, insbesondere durch Deep-Learning-Techniken, Personen in Videos oder Audioaufnahmen verändert werden. Diese Veränderungen betreffen vor allem Gesichter und Stimmen, wobei die Originalperson durch eine andere ersetzt wird.
Bei Video-Deepfakes wird das Gesicht einer Person in einem bestehenden Video durch das Gesicht einer anderen ersetzt. Dies wird ermöglicht durch Algorithmen, die umfangreiche Datenmengen
von Bildern oder Videos beider Personen verarbeiten, um deren Aussehen und Bewegungen zu erlernen. Diese Algorithmen können dann das Gesicht der einen Person nahtlos in das Video der anderen
einfügen, was zu einem Video führt, das so aussieht, als ob die ersetzte Person die gezeigten Handlungen tatsächlich ausführt.
Audio-Deepfakes verwenden eine ähnliche Methode, um die Stimme einer Person zu verändern, sodass sie wie eine andere Person klingt. Hier werden neuronale Netzwerke eingesetzt, um die
spezifischen Merkmale einer Stimme zu erfassen und diese auf eine andere Tonspur zu übertragen.
Deepfakes können sehr überzeugend und realistisch wirken, was sie zu einem mächtigen Instrument für die Erstellung gefälschter Nachrichten oder Propaganda macht. Sie können zwar auch für
humoristische oder künstlerische Zwecke genutzt werden, ihre Fähigkeit zur Täuschung und Verbreitung von Falschinformationen macht sie jedoch zu einem kontroversen und ethisch bedenklichen Thema.
Dies betrifft vor allem die Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Wahrheit, das Vertrauen in Medien und den Schutz der Privatsphäre. [1]
Die Anwendung von Deepfake-Technologien hat sich auch in den künstlerischen Bereich ausgeweitet. Berühmte Persönlichkeiten und Kunstwerke wie Marilyn Monroe, Albert Einstein und die Mona Lisa wurden mittels dieser Technik animiert, was ihnen eine Art "neues Leben" verlieh.
Ein bemerkenswertes Beispiel findet sich im Salvador-Dalí-Museum in St. Petersburg, wo seit 2019 Besucher von einer Deepfake-Darstellung des verstorbenen Künstlers Salvador Dalí durch das Museum geführt werden [2]. Diese innovative Nutzung von Deepfakes in der Kunstwelt zeigt, wie klassische Bilder und historische Figuren durch moderne Technologie in einer neuen und interaktiven Weise erlebbar gemacht werden können. [3]
KI-Technologien haben in der Welt der Kunst eine wichtige Rolle eingenommen und bieten Künstlern innovative Wege zur Schaffung ihrer Werke. KI wird dabei sowohl für die eigenständige Erzeugung
von Kunst durch Algorithmen als auch zur Unterstützung von Künstlern in ihrem kreativen Prozess eingesetzt. Beispiele hierfür sind Künstler, die KI nutzen, um einzigartige Kunstwerke zu kreieren,
oder die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und intelligenten Systemen, die gemeinsam neue Kunstformen entwickeln. Diese Entwicklung zeigt, wie KI die Grenzen traditioneller Kunst erweitert und
neue Dimensionen in der kreativen Expression eröffnet.
Ein bemerkenswertes Beispiel ist das von KI erstellte Gemälde "Portrait of Edmund de Belamy", das bei einer Auktion einen hohen Preis erzielte. Dies verdeutlicht, wie KI in der Kunstwelt Fuß
gefasst hat.
Die Verwendung von KI in der Kunst hat jedoch auch zu Diskussionen geführt, ob Maschinen Kunstwerke schaffen können, die mit menschlichen Werken vergleichbar sind. Trotz dieser Debatten hat KI zweifellos die Kunstwelt revolutioniert und wird weiterhin eine wichtige Rolle in der Kunst spielen. [4]
KI- Kunst ist die Gesamtheit der Kunstwerke, die unter Beteiligung verschiedener KI-Verfahren entstanden sind
Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Kunstwerk "Théâtre D'opéra Spatial", das in einem Kunstwettbewerb den ersten Preis errang. Es entstand zunächst durch das Programm "Midjourney", bevor es von dem Künstler Jason Allen weiter ausgearbeitet und verfeinert wurde.
Der folgende Abschnitt beschreibt die potenziellen Auswirkungen auf die Kunstgeschichte und das kulturelle Erbe.
Herausforderung traditioneller Wahrheits- und Authentizitätsbegriffe:
Deepfakes stellen traditionelle Vorstellungen von Wahrheit und Authentizität in der visuellen Darstellung in Frage. Deepfakes verschwimmen die Grenze zwischen Realität und Fiktion in der Kunst
weiter. Dies fordert Kunsthistoriker heraus, die Authentizität visueller Artefakte zu überdenken und die Zuverlässigkeit historischer visueller Aufzeichnungen zu hinterfragen. [6]
Demokratisierung künstlerischen Ausdrucks:
Deepfakes demokratisieren den künstlerischen Ausdruck, indem sie Einzelpersonen ermöglichen, historische Kunstwerke neu zu interpretieren und zu schaffen. Dies fordert die traditionelle Rolle etablierter Künstler und Institutionen heraus und eröffnet Möglichkeiten für vielfältige Stimmen und Perspektiven in der Kunstgeschichte. [7]
Transformation von Raum und Zeit:
Die Diskussion über Raum-Zeit-Veränderungen im digitalen Zeitalter passt zur Auswirkung von Deepfakes auf die räumlichen und zeitlichen Dimensionen der Kunst. Deepfakes können historische Figuren oder Einstellungen in zeitgenössische Kontexte versetzen und so eine Fusion von Zeitleisten schaffen. Dies stellt herkömmliche Vorstellungen von kunsthistorischen Epochen und geografischen Grenzen in Frage. [8]
Kulturelle Vielfalt im Cyberspace:
Die Technologie ermöglicht die Neudeutung historischer Figuren in verschiedenen kulturellen Kontexten, fördert den interkulturellen Dialog und stellt eurozentristische Perspektiven in der traditionellen Kunstgeschichte infrage. [9]
Kreative Möglichkeiten und Vorstellungskraft:
Das Web ermöglicht eine Veränderung in Kreativität und Vorstellungskraft. Deepfakes veranschaulichen diese Transformation, indem sie neue Werkzeuge für künstlerischen Ausdruck bieten und es ermöglichen, historische Erzählungen neu zu gestalten. Kunsthistoriker müssen sich mit diesen kreativen Möglichkeiten auseinandersetzen und deren Auswirkungen auf die Wahrnehmung historischer Kunstwerke bewerten. [10]
Ethikbedenken und Chaos:
Die Frage, ob Cyberkultur gleichbedeutend mit Chaos und Verwirrung ist, steht im Einklang mit Bedenken hinsichtlich der ethischen Implikationen von Deepfakes in der Kunstgeschichte. Der mögliche Missbrauch dieser Technologie wirft Fragen nach dem verantwortungsbewussten Einsatz von Deepfakes auf und deren Auswirkungen auf die Interpretation historischer Ereignisse durch Kunst. [11]
(Bildquelle: Erstellt durch Dall-E Bing, prompted by Tore Rene Burmester)
Deepfakes könnten das kulturelle Erbe beeinflussen, indem sie traditionelle Kunstgrenzen und -definitionen in Frage stellen.
1. Manipulation von visuellem Erbe
Deepfakes können visuelle Inhalte, einschließlich Kunstwerke und Fotografien, beeinflussen. Durch die Fähigkeit, realistisch aussehende Fälschungen zu erstellen, könnten Deepfakes die Integrität von Kunstwerken infrage stellen und die traditionellen Grenzen zwischen Originalität und Reproduktion verwischen. [12]
2. Herausforderung von Autorschaft und Identität
In Bezug auf das kulturelle Erbe könnten Deepfakes Fragen zur Autorschaft und Identität aufwerfen. Wenn durch KI generierte Inhalte nicht mehr klar einem bestimmten Künstler oder einer bestimmten Ära zugeordnet werden können, könnte dies die traditionelle Definition von Kunst und Künstlerschaft herausfordern. [13]
3. Veränderung der Wahrnehmung von Geschichte
Deepfakes können auch die Wahrnehmung von Geschichte beeinflussen. Durch die Manipulation historischer Fotos oder Dokumente könnten alternative Realitäten geschaffen werden, die die traditionellen Vorstellungen von Vergangenheit und Authentizität infrage stellen. [14]
4. Erweiterte Definition des digitalen Erbes
Deepfakes, als Form von born-digital Inhalten, stellen traditionelle Definitionen des Erbes in Frage, indem sie digital generiertes Material einführen, das möglicherweise keinen physischen Gegenpart hat. Dies stellt die Vorstellung des Erbes als greifbare Objekte in Frage. [15]
Im 19. Jahrhundert, vor mehr als einem Jahrhundert, betrachteten einige Maler die aufkommende Fotografie Technologie als eine potenzielle Gefahr für die traditionelle Malerei. Einige gingen sogar so weit, die Fotografie als blasphemisch zu bezeichnen, mit der Begründung, dass nur Menschen das göttliche Abbild festhalten könnten. In der heutigen Zeit beobachten wir ähnliche Vorbehalte im Kontext der KI-Nutzung in der Kunstwelt. [16]
(Bildquelle: Erstellt durch Dall-E Chat OpenAI, prompted by Clarissa Völz-Marwig)
Ein verbreiteter Einwand ist die Ansicht, dass Kreativität eine ausschließlich menschliche Fähigkeit sei. Die Idee, dass Maschinen ebenfalls kreativ sein könnten, stößt bei einigen auf Unbehagen und Ängste hinsichtlich des Verlusts kreativer Berufe. Auf der anderen Seite existieren Personen, die von KI-geschaffenen Kunstwerken fasziniert sind und die Meinung vertreten, dass Kreativität nicht nur dem Menschen vorbehalten sein sollte. Sie plädieren dafür, dass die Ausdehnung des Kreativitätskonzepts auf nicht-menschliche Entitäten der KI eigene Ausdrucksformen ermöglicht, anstatt sie zu vermenschlichen. [17]
Eine weitere Kritik betrifft die scheinbare Einfachheit von KI-Kunst, die oft als "Kunst per Knopfdruck" betrachtet wird. Diese Kritik ähnelt der frühen Skepsis gegenüber der Fotografie. Der
Unterschied zwischen einem bloßen Auslösen und dem wahren Fotografieren liegt jedoch in der künstlerischen Gestaltung: Fotografen erschaffen keine Szenen oder formen Menschen, aber sie
kontrollieren den kreativen Prozess durch die Wahl der Kameraeinstellungen, das Einfangen des perfekten Moments, das Finden der idealen Perspektive und die sorgfältige Bearbeitung der Aufnahmen.
Dies zeigt, dass Fotografie weit mehr als nur das Betätigen des Kameraauslösers ist. Ähnlich verhält es sich mit KI-generierter Kunst: Hinter jedem Werk steht ein von Künstlern sorgfältig
gesteuerter Prozess, der kuratiert, verfeinert und in einen kulturellen Rahmen eingebettet werden muss. [18]
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Nutzung bestehender Inhalte zum Training von KI-Modellen. Es wird oft argumentiert, dass es KI an Originalität mangelt, da sie sich auf existierendes Wissen
stützt. Dieses Argument wird jedoch durch die seit Langem geführte Debatte abgeschwächt, die besagt, dass Kultur und Kunst immer auf bereits Bestehendem aufbauen und sich in einem
kontinuierlichen Austausch mit anderen Werken befinden. [19]
Ein ungelöstes, ernsthaftes Problem betrifft die Zusammensetzung der Trainingsdatensätze für KI-Systeme. Ein wesentliches Bedenken ist dabei, dass KI-Modelle, die auf Trainingsdaten trainiert
werden, welche rassistische oder sexistische Vorurteile enthalten, diese Vorurteile in ihren Ergebnissen widerspiegeln können. [20]
Eine zusätzliche Debatte dreht sich um die Nutzung von Deepfakes, um historische Kunstwerke oder Ereignisse auf eine Art und Weise zu verändern, die die Wahrheit verzerrt. Dies könnte zu einer falschen oder irreführenden Wiedergabe historischer Begebenheiten führen, besonders wenn solche modifizierten Bilder ohne klare Kennzeichnung verbreitet werden.
Darüber hinaus wird die Anwendung von Deepfake-Technologien zur Manipulation historischer Persönlichkeiten oder Kunstwerke von einigen als mangelnder Respekt oder als insensibel gegenüber den Kulturen und Individuen betrachtet, die sie darstellen. Dies trifft insbesondere auf Werke zu, die einen bedeutenden kulturellen oder spirituellen Wert besitzen. [21]
In einer Welt, in der unsere künstlerische Realität durch Deepfakes neu geschrieben werden kann, wer kontrolliert die Pinselstriche der Wahrheit in unserer Kunstgeschichte? Oder haben wir uns bereits in eine dystopische Ära verabschiedet, in der jede Leinwand ein Spiegelbild unserer manipulierten Fantasien ist?
[1] (Frick, Steinebach, & Zmudzinski, 2023, S. 203-205)
[2] (Block, 2023, S. 5)
[3] (Seitenvertreib, 2019)
[4] https://www.kunstplaza.de/trends/ki-kunst-kunstbegriff/#Was_ist_KI-Technologie_und_wie_beeinflusst_sie_die_Kunst
[5] (Merzmensch, 2023, S. 8-9)
[6] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 5f.)
[7] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 6ff.)
[8] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 6ff.)
[9] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 8f.)
[10] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 9ff.)
[11] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 10f.)
[12] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 56)
[13] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 57f.)
[14] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 92f.)
[15] (Borowiecki, Forbes, & Fresa, 2016, S. 56f.)
[16] (Merzmensch, 2023, S. 48f.)
[17] (Merzmensch, 2023, S. 49)
[18] (Merzmensch, 2023, S. 51)
[19] (Merzmensch, 2023, S. 52)
[20] (Merzmensch, 2023, S. 52-54)
[21] https://www.seitvertreib.de/2019/05/10/dali-lebt-ein-deep-fake-salvador-dali-macht-selfies-mit-besuchern-des-dali-museums/
Semesterergebnisse der Seminare »KI & Ethik« und »Neue KI-gestützte Arbeits- und Organisationsformen« der Masterstudiengänge im Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Kiel